Vor rund 13 Monaten hat der Orca-Bulle Tilikum seine
Trainerin Dawn Brancheau getötet, jetzt tritt er wieder auf und wurde
mit großem Applaus vom Publikum begrüßt
Die PR-Maschinerie von SeaWorld ist einigermaßen beispiellos. Nicht
nur, dass sie es fertig bringt, dass überhaupt noch Menschen die Shows
besuchen, sie klatschen auch noch für ein Tier, das am Tod von drei
Menschen beteiligt war.
Vor den entsetzten Zuschauern sprang
Tilikum damals aus dem Wasser, griff seine Trainerin um die Hüfte, so
eine Augenzeugin gegenüber ABC, und zog sie unter Wasser. Seaworld hatte
allerdings erst behauptet, die Trainerin sei ins Wasser gefallen. Und
vermutlich stimmen beide Versionen nicht: weitere Zeugen sagten aus,
Tilikum hätte Brancheau am Arm ins Wasser gezogen, als sie ihn
streichelte oder massierte. Eigentlich erstaunlich: Mehrere Tonnen Wal
agieren vor Hunderten von Augenpaaren und dennoch ist bis heute nicht
zweifelsfrei klar, was eigentlich passiert ist.
Dies haben Seaworld und Tilikum gemeinsam – ungeklärte Vorfälle
Tilikum
wurde 1983 in einem Alter von etwa zwei Jahren vor Island gefangen,
soviel ist wohl sicher. Mittlerweile ist er der größte Orca in
Gefangenschaft. Seine erste Station in „Obhut“ des Menschen war Victoria
/ Kanada. Dort ereignete sich der erste tödliche Unfall um den
Ozeanriesen. Damals kam eine Angestellte ums Leben, die bei
Reinigungsarbeiten tragischerweise ins Becken gefallen war. Bei den drei
Tieren, zwei Kühen und eben Tilikum, war noch nie ein Mensch im Wasser.
Die drei packten die junge Frau (20) und schubsten sie herum – sie
ertrank. Das war 1992.
1999 ließ sich ein Mann von 27 Jahren über
Nacht in Seaworld einschließen – zum wiederholten Mal. Beim ersten Mal
schwamm er mit den Manatees (Seekühe), den vermutlich sanftmütigsten
Tieren, die in Seaworld gehalten werden.
Beim zweiten Mal stieg
er zu Tilikum ins Becken, fiel hinein oder wurde hineingezogen. Am
nächsten Morgen jedenfalls bot sich dem Personal eine gespenstische
Szene: Sie fanden den unbekleideten Mann quer über dem Rücken des Orcas.
Er hatte zwar Bisse und Kratzer, aber daran ist er nicht gestorben,
sondern an Unterkühlung.
Unfälle mit Orcas in Gefangenschaft
kommen immer wieder vor, die Tiere sind riesig, sie werden in kleinen
Becken gehalten, müssen mehrfach am Tag ihr Programm abspulen, dazu
hämmert Rockmusik aus riesigen Boxen, Menschen kreischen und schreien.
Was für ein Kontrast zu ihrem eigentlichen Element, dem Meer – wie es
einmal war, bevor Marinesonar es akustisch verseuchte.
Einen
Großteil der Einkünfte bringt Tilikum seinem Besitzer als Zuchtbulle –
er dient als Samenspender, diverse seiner Nachkommen bevölkern die
Delfinarien rund um die Welt.
Tilikum wird seit Jahren in
Einzelhaft in seinem Becken gehalten. Dawn Brancheau war die einzige
Trainerin, die noch mit Tilikum arbeiten und sich ihm nähern durfte. In
sein Becken zu steigen war schon lange verboten. Man spricht gern von
„unberechenbarem Verhalten“ im Zusammenhang mit dem Schwertwal.
Betrachtet man die Haltungsbedingungen von Tilikum, soweit bekannt, mal
genauer, drängt sich einem der Eindruck auf, dass der Wal
verhaltensgestört, bzw. psychisch krank sein MUSS. Ob es aber überhaupt
eine Verhaltensstörung ist, wenn ein Beutegreifer irgendwann mal
zuschlägt, sei dahingestellt. Bei einem Löwen jedenfalls ist in einem
ähnlichen Fall das Entsetzen weit geringer.
Es ist unser schräges
Bild von einem Tier, dass es so, wie wir es gerne hätten, gar nicht
gibt. Ein Orca ist kein Streicheltier, das wir in eine Badewanne stecken
können und dann noch erwarten dürfen, dass es uns dies mit ewiger
Freundschaft und Zuneigung goutiert. Es ist von uns abhängig; verhält
sich der Wal nicht wie gewünscht, ertönt keine Trillerpfeife und dann
gibt’s auch nichts zu essen. Aber irgendwann ist ihm dies egal und dann
brennt die letzte Sicherung durch und er packt zu. 2010 hat Tilikum dies
getan, 27 Jahre nachdem er den Ozean verlassen musste.
In freier
Wildbahn passierte dies noch nie. Nun sind Begegnungen zwischen Mensch
und Orca im Ozean zwar selten, doch sie kommen vor und noch ist kein
Mensch je dabei zu Schaden gekommen.
Doch viele haben das Bild von
dem beeindruckenden Riesen als Clown, der mit seiner Fluke Menschen
nass spritzt und auch noch selber Spaß daran hat, den PR-Profis von
Seaworld sei Dank. Und die kriegen es zudem auch noch irgendwie hin,
dass die Zuschauer alle wieder lieb haben – die Veranstalter und den
Wal, der eine hübsche, blonde 40-Jährige getötet hat. Was für ein
Spagat. (Annette Hackbarth)